"Welche Chancen und Herausforderungen bieten Video-Stimulated-Recall Interviews für die Instrumentalpädagogik am Beispiel der Frage: Was denken Studierende während des Übens?"
Üben ist die Tätigkeit, mit der Musiker*innen am meisten Zeit verbringen. Zudem beeinflusst das Üben die Entwicklung am Instrument enorm. Dementsprechend gibt es unzählige Texte dazu, wie geübt werden sollte. Dabei bleiben jedoch einige Frage offen: Wie wird tatsächlich geübt? Könnten Erkenntnisse darüber unsere Praxis bereichern? Und wie kann die Praxis des Übens sinnvoll beforscht werden?
Um das herauszufinden, wurden in dieser explorative Studie Video-Stimulated Recall Interviews eingesetzt. Erprobt wurden die Video-Stimulated Recall Interviews anhand der Frage: „Was denken Studierende während des Übens?“. Ergebnis dieser explorativen Studie, in der Künstlerische Forschung und qualitative Forschung zusammengebracht wurden, war ein Theorieentwurf. Hierbei konnte angedeutet werden, dass beispielsweise Unterbrechungen beim Üben nicht immer einen negativen Charakter haben müssen. Im Gegenteil – eine Unterbrechung kann negative Momente beenden und konstruktives Üben wieder ermöglichen. Weiter interessant war, dass Erinnerungen an frühere Musiziersituationen eine große Rolle während des Übens spielten. Alles in allem erwiesen sich Video-Stimulated Recall Interviews als gewinnbringende Methode, die sich sehr gut dazu eignet, Wissen aus der Praxis zu generieren und das Üben zu beforschen.
"Musik und Sprache – Pädagogik als Medium zwischen Sprachlosigkeit und Reflexions- und Ausdrucksmöglichkeiten durch Musik"
Wenn die Grenzen meiner Sprache auch die Grenzen meiner Welt sind (Ludwig Wittgenstein), und Musik ausdrückt, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist (Victor Hugo) — kann Musik dann meine Welt vergrößern?
Bei dem Projekt Listen-and-Tell wird aktiv und aufmerksam Musik gehört und über Musik gesprochen. Die Teilnehmenden treffen sich wöchentlich, um sich gegenseitig ihre ausgesuchten Musikstücke zu vorher festgelegten Themen zu zeigen. Ob „Musik, die ich höre, wenn ich wütend bin“, „Musik, bei der ich immer gute Laune bekomme“, oder „Musik, die mein Jahr 2020 zusammenfasst“ — jede Woche erkunden die Teilnehmenden gemeinsam die vielfältigen Möglichkeiten, sich durch Musik mitzuteilen. Aber nicht nur die Ausdrucks- sondern auch die Reflexionsmöglichkeiten durch Musik stehen bei Listen-and-Tell im Mittelpunkt. Wenn wir Musik hören, können wir in ihr eine Inszenierung unserer eigenen inneren Gefühlswelt erkennen, wodurch es uns gelingt, Empfindungen zu verstehen, die wir anders noch nicht in Worte fassen konnten. Sprache bestimmt und beeinflusst, wie und was wir wahrnehmen, und Musik erweitert unsere Sprache mit neuen Perspektiven. Und andersherum kann Sprache auch positiv beeinflussen, wie wir Musik wahrnehmen. Bei Listen-and-Tell wird ein metaphorisches Sprechen über Musik gefördert. Je mehr Möglichkeiten die Teilnehmenden haben, die erlebte Musik zu beschreiben, desto mehr Details können sie in der Musik wahrnehmen. Die Teilnehmenden erarbeiten sich so neue Werkzeuge, die ihnen einen leichteren und kreativen Zugang zu unbekannten Musikstücken ermöglichen.
„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ (Ludwig Wittgenstein) — aber es besteht zumindest die Hoffnung, dass diese Welt durch Musik vergrößert werden kann.
"Digitale Kettenkomposition"
Durch den coronabedingten Lockdown im März 2020 wurde der Instrumentalunterricht online abgehalten. Im Laufe der Zeit schwand jedoch die Motivation der SchülerInnen, da Faktoren wie die fehlende musikalische Interaktion, audiobezogene Latenz, die schlechte Tonqualität und das fehlende soziale Miteinander das Musizieren stark einschränkten.
So entstand der Gedanke sich digital zu verbinden und gemeinsam kreativ zu werden. Als Grundlage diente ein selbstgestalteter Rhythmus, zu dem der/die SchülerIn eine Idee entwickeln sollte, die eine Melodie, Akkordreihenfolge, Bassfigur, Klänge oder Sonstiges sein konnte. Die Prämisse war einfach: „Du kannst nichts falsch machen.“
Durch eine angelegte Dropbox konnten die Beteiligten auf die Ideen Anderer zugreifen und nach belieben ergänzen. Es fand ein reger Austausch zwischen den SchülerInnen statt, sodass in kürzester Zeit zahlreiche Kettenkompositionen entstanden, die alters-, niveau-, Instrumenten-, genre- und städteübergreifend die Musizierenden miteinander verbanden.
Dieses Projekt zeichnet besonders aus, dass die SchülerInnen fernab von Genres, wie der Klassik, dem Jazz und dem Pop ihre eigene musikalische Sprache erschufen.
„Schließlich müssen wir, (...) wieder zur Musik unserer Gegenwart finden, die ja unsere Sprache spricht, unsere ist und weiterführt.“, schreibt Nikolaus Harnoncourt in seinem Buch Musik als Klangrede.
"Songwriting als Beitrag zur Identitätsbildung und Anti-Bias-Arbeit in heterogenen Gruppen"
Im Zentrum unseres Projekts “Songwriting als Beitrag zur Identitätsbildung und Anti-Bias-Arbeit in heterogenen Gruppen” steht das Ziel, die Einzigartigkeit und das kreative Potenzial eines jeden Menschen zu zeigen. Dafür texten, arrangieren und musizieren (bzw. covern) wir mit einer Gruppe aus wohnungslosen (bzw. von Wohnungslosigkeit bedrohten) jungen Menschen und Studierenden verschiedener Fachrichtungen, um einen eigenen Song zu schreiben. Das Songwriting-Projekt führen wir im Rahmen eines größeren interdisziplinären Forschungsprojektes namens “Lebenskunst” durch, welches vom LEONARDO Zentrum für Kreativität und Innovation in Nürnberg gefördert wird.
Die Idee des Projektes ist es einerseits über das gemeinsame Kreativsein, Texten und Performen die verborgenen Potenziale der sehr heterogenen Teilnehmenden in einem partizipativen Setting ans Tageslicht zu bringen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Andererseits merken wir, dass bei allen Teilnehmenden Vorurteile und kognitive Verzerrungen vorhanden sind, die wir auch im Hinblick auf unsere eigene pädagogische Professionalisierung reflektieren möchten. Aus der Überzeugung heraus, dass (musikalische) Bildung Menschen verändern kann, wollen wir mit dem Projekt einen kleinen Beitrag zu einer Veränderung hin zu einer inklusiven Gesellschaft leisten und unsere Erfahrungen im Hinblick auf die Gelingensbedingungen einer kultursensiblen (Elementaren) Musikpädagogik auswerten. Natürlich soll auch ein künstlerisches Produkt entstehen, welches aufgenommen und aufgeführt werden kann. Sobald es wieder möglich ist, werden wir den Song mit der Gruppe in einem Tonstudio aufnehmen.
Methodisch orientieren wir uns an den Prinzipien der Elementaren Musikpädagogik. Zusätzlich greifen wir Methoden der ‘community music’, des ‘creative writings’ und (sozial-)pädagogische Ansätze, wie den ‘capability approach’ oder die Anti-Bias Arbeit auf. In verschiedenen Treffen wurden eigene Texte erarbeitet, im Sinne des ‘voraussetzungslosen Musizierens’ gemeinsam arrangiert und erste Ausschnitte eines Musikvideos aufgenommen.
Um den Kontakt zu unserer Gruppe nicht zu verlieren, boten wir während des Lockdowns ein Videoprojekt an.
Obwohl das Projekt noch nicht endgültig abgeschlossen ist, haben wir schon jetzt feststellen können, dass die interdisziplinäre Arbeit mit heterogenen Gruppen in hohem Maße durch ein kreatives Medium profitiert. Das musikalisch-kreative Tätigwerden ermöglicht den Teilnehmenden sich auszuprobieren, Stärken und Schwächen spielerisch kennen zu lernen und eigene Ressourcen einzubringen. Außerdem ergibt sich dadurch ein Kontext, in dem Teilnehmende sich selbst und anderen offen und unvoreingenommen begegnen können und im gemeinsamen Tun voneinander gelernt und Vorurteile abgebaut werden können.