Der 13. Hochschulwettbewerb Musikpädagogik 2023 fand in der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover statt. Die Preisträger*innen des diesjährigen Wettbewerbs sind:
„Einfach mal ein bisschen auf’m Cello rumquatschen“
Partizipative Ansätze zur Integration der kindlichen Perspektive
Das Bachelorprojekt befasste sich mit der Frage, wie eine für Partizipation und Selbstbestimmung anregende Lernumgebung gestaltet werden kann. Innerhalb von 6 Interviews und 3 ganztägigen Workshops wurde gemeinsam mit 5–12-jährigen Streicherschüler*innen ein experimentierfreudiger und bewertungsfreier Lernkontext geschaffen, indem die Kinder aktiv und handlungsfähig sein konnten und eine vielseitige Auseinandersetzung mit Musik und dem Instrument erlebten. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass Kinder eigenständige Akteur*innen und Expert*innen des eigenen Lernens sind und demnach ein Mitspracherecht über ihr musikalisches Lernen haben müssen. Um also die Perspektiven und Wünsche der Kinder innerhalb des Projekts zu integrieren, entstand ein offener, ständig reflexiver und sich modifizierender Projektvorgang.
In der näheren Beschäftigung mit den verschiedenen partizipativen Momenten des Projekts sind die Komplexität und Vielseitigkeit des Partizipationsbegriffs und die notwendigen Voraussetzungen auf Seiten der Umgebung, der Lehrenden und der Kinder deutlich geworden. So zeigte sich beispielsweise die Bedeutung eines sicheren und erwartungsfrei wahrgenommenen Rahmens, damit sich die Kinder in der Umgebung, in der musiziert und gelernt wird, wohlfühlen und zu einem kreativen Mitwirken angeregt werden.
Vor allem aber wurde die Verantwortung auf Seiten der Lehrenden deutlich. Partizipation bedarf das engagierte Erschaffen vielseitiger Gelegenheitsstrukturen, ein aktives Reflektieren bezüglich partizipationseinschränkendem Verhalten und einen hohen Grad an Aufmerksamkeit, Offenheit und Flexibilität, um Anmerkungen der Kinder wahrnehmen und integrieren zu können. Innerhalb der Workshops entschieden die Studierenden, Einfluss auf Lerninhalte zu nehmen, um dadurch einen vielseitigen musikalischen Erfahrungsschatz bei den Kindern auszubauen. Dieses Spannungsfeld zwischen inhaltlicher Mitbestimmung durch die Kinder und Einflussnahme auf Seiten der Lehrenden wurde im Projekt mehrmals reflektiert und die Situationen und die eigene Rolle im Machtgefüge mehrfach angepasst. Außerdem wurde innerhalb der Workshops immer wieder neu ausgehandelt, wo sich das Projekt zwischen dem Verfolgen der Vorstellungen der Lehrenden und der Offenheit für partizipative Vorgänge, die den Prozess und auch den Ausgang des Vorhabens verändert haben, befindet.
In dem Projekt wurden die Notwendigkeit und der Möglichkeitsraum, den Partizipation für einen persönlich bedeutsamen Zugang zu Musik, für das eigene Lernen und das Entwickeln einer künstlerischen Selbstwahrnehmung bietet, deutlich. Gleichzeitig zeigte sich, dass Partizipation nicht von selbst passiert und es Aufgabe der Lehrenden ist, die jeweiligen Kompetenzen zu erwerben, die es braucht, um partizipative Umgebungen zu gestalten, die eigene Rolle neu zu interpretieren und aktiv freie und partizipatorische Räume zu schaffen.
„Zur Rolle von Gesten im improvisationsorientierten Musikunterricht – Eine videographische Forschungsarbeit zur Konstituierung von Gemeinschaften im Musikunterricht“
Um Musikunterricht zunächst reflektieren und in einem nachfolgenden Schritt verbessern zu können, scheint es sinnvoll, primär Interaktionen im Musikunterricht besser verstehen zu können. Da Musik ein Unterrichtsfach ist, in dem Aspekte der Körperlichkeit eine große Rolle spielen, rücken hier insbesondere Gesten als Körperbewegungen mit kommunikativer Funktion in den Mittelpunkt.
In ihrer videographischen Forschungsarbeit untersucht Hannah Sophie Schütz die Rolle von Gesten im improvisationsorientierten Musikunterricht. Dabei stellt sie fest, dass Gesten nicht nur solche Interaktionen mitsteuern, die in der Musikpädagogik bereits beschrieben und erforscht sind. Beispielhaft sind hier Situationen des Dirigierens, der musikalischen Koordination oder sprachbegleitende Gesten zu nennen. Auffallend ist, dass Gesten auch bei der Konstituierung von spontanen und kurzfristigen Gemeinschaften eine tragende Rolle einnehmen können.
Der Begriff der Geste wird mit den unterschiedlichsten Funktionszuschreibungen verwendet. Um Gesten im Videomaterial, das aus dem Unterrichtsalltag des Projektes ImproKultur der Hochschule für Musik, Theater und Medien stammt, sicher identifizieren zu können, wurde eine Liste mit Merkmalen von Gesten zusammengetragen: Gesten sind signifikante Bewegungen des Körpers, sind Handlungen, bringen eine Bedeutung mit sich und sind ein Kommunikationsmittel.
In einem ersten Schritt wurde eine Grobkodierung des Videomaterials angefertigt. Daraufhin konnten zwei Sequenzen der Gemeinschaftsbildung für die nähere Analyse ausgewählt werden. Nach einer detaillierten Deskription wurden die in den Sequenzen zu beobachtenden Gemeinschaftskonstituierungen und insbesondere solche Interaktionsmomente, die zu den beobachtbaren Gemeinschaften geführt haben, analysiert und interpretiert. Ein Fokus lag dabei auf der Frage, welche Rolle Gesten für die Gemeinschaften gespielt haben.
Insgesamt wurde deutlich, dass Gesten in den zu beobachtenden Interaktionen eine noch größere als zunächst erwartete Rolle eingenommen haben. Spontane Gemeinschaften müssen zwar nicht, können aber einen großen Einfluss auf den weiteren Unterrichtsverlauf und/oder das Klangergebnis haben, weshalb eine weitere Erforschung von Gemeinschaftskonstituierungen im Musikunterricht sinnvoll erscheint. Die Forschungsergebnisse tragen nicht nur zu einem besseren Verständnis von Musikunterricht bei, sondern bieten in der Praxis auch eine Diskussionsgrundlage zum Gespräch über Gesten im Musikunterricht sowie den damit verbundenen Chancen genauso wie Herausforderungen in der Gestaltung des Musikunterrichts.
"Musikalische Miniaturen: Ein künstlerisch-pädagogisches Projekt mit erwachsenen Klavierspielenden zum Werk von Farhad Dehkhoda"
Im Rahmen des Masterprojekts der Künstlerisch-Pädagogischen Ausbildung beschäftigten sich sieben erwachsene Schülerinnen und Schüler im Alter von 21–67 Jahren mit dem eigenen musikalischen Ausdruck und tauchten dabei ein wenig in die iranische Kultur ein.
Ist es möglich, Erwachsenen im Instrumentalunterricht dazu zu verhelfen, sich frei von hohen Ansprüchen durch breite Interpretationsvorlagen, dem eigenen musikalischen Ausdruck zu widmen? Wie ist es mit dem Auftreten auf der Bühne, dem Lampenfieber und dem Umgang mit Fehlern?
Das Projekt schuf eine Plattform, auf der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich musikalisch begegnen und austauschen konnten. Kern der musikalischen Auseinandersetzung waren die Miniaturen für Klavier von Farhad Dehkhoda. Diese kurzen Charakterstücke, die häufig eine schlichte ABA-Form aufweisen, sind zwar im klassischen Stil komponiert, weisen jedoch auch klanglich andere Elemente auf. Durch die Unbekanntheit der Stücke war es möglich, sich dem musikalischen Ausdruck freier und direkter zu widmen. Das Experimentieren mit Spannungs- und Entspannungsmomenten in der Musik, Tempi und Klangfarben war eines der wichtigsten Werkzeuge in diesem Zusammenhang. In der Auseinandersetzung mit Lampenfieber entstand zudem eine Art Performance, in der zwischen den Stücken nicht applaudiert wurde und jede Schülerin und jeder Schüler mehrmals auftrat. Die vielen kurzen Stücke wirkten so wie ein großes Werk, welches von allen aufgeführt wurde.
Ein weiterer Teil des Projekts bestand aus einem improvisatorisch erarbeiteten Stück mit einer Schülerin im Flügelinnenraum. Das Spiel fernab der Tasten sollte eine von Angst befreite Herangehensweise an den Ausdruck, der auch hier im Fokus stand, ermöglichen. Als Grundlage für die Improvisation diente das Gedicht „Mein Herz trauert um den kleinen Garten“ der iranischen Lyrikerin Forugh Farrochsad. Die vorkommenden Szenen und Gefühle des Textes dienten als Inspiration zur Erarbeitung eines musikalischen Ablaufs.
Das Fokussieren auf den musikalischen Inhalt und den Ausdruck stellte sich für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als sehr zufriedenstellend und erfüllend heraus. Dies ermöglichte allen, auch in der Auseinandersetzung mit Lampenfieber und anderen möglichen Hindernissen, ein gelungenes, auf künstlerisch hohem Niveau gestaltetes Vorspiel. Zudem war festzustellen, dass die musikalische Herangehensweise zu einer leichteren Überwindung motorisch schwieriger Stellen führte. Insgesamt wurde deutlich, dass das Verwenden unbekannter Stücke und das improvisatorische Erarbeiten eines Musikstückes gute Mittel im Unterricht mit Erwachsenen sein können, um sich freier und nachhaltig dem musikalischen Ausdruck zu widmen.